Europaschüler*innen werden zu Zweitzeugen
Am 9. November 1938 wurden in Deutschland hunderte Jüdinnen und Juden ermordet, Synagogen, Geschäfte und Wohnungen von Juden zerstört und in Brand gesteckt. 82 Jahre liegt das zurück, aber die Bilder sind immer noch erschreckend – vor allem auch vor dem Hintergrund der systematischen Judenvernichtung durch die Nationalsozialisten, für die der 9. November der Auftakt war. Dieses Datum ist an der Europaschule einer der Anlässe, um den Holocaust zu thematisieren. Aber wie sieht eine gute Erinnerungskultur an Schulen heute aus? Zeitzeugen, die Konzentrationslager überlebt haben, gibt es kaum noch. Welche anderen Wege können Schülerinnen und Schülern einen Zugang ermöglichen? Auf der Suche nach guten Konzepten entdeckte die Europaschule den Heimatsucher e.V. der in der Zwischenzeit in „Zweitzeugen e.V.“ umbenannt wurde. Die Mitglieder des Zweitzeugen e.V. haben es sich zur Aufgabe gemacht, Zeitzeuginnen und Zeitzeugen des Holocausts zu interviewen, ihre Geschichten zu dokumentieren und sie dann in Schulklassen und Ausstellungen weiterzuerzählen. Die Multiplikator*innen sehen ihren zentralen Auftrag darin, als »Zweitzeug*innen«, die Schülerinnen und Schüler stark gegen jegliche Art von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu machen. Die Entwicklung des didaktischen Konzepts orientiert sich an den neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Holocaust-Education.
Schon während des ersten gemeinsamen Projekttages im Jahr 2018 schafften die „Zweitzeugen“ für die Schülerinnen und Schüler der Europaschule einen modernen und emotionalen Zugang zum Thema der Schoah, der auch die teilnehmenden Lehrer*innen so nachhaltig beeindruckte, dass der Wunsch nach einer langfristigen Zusammenarbeit entstand und die Europaschule im vergangenen Jahr offizielle Kooperationsschule des Zweitzeugen e.V. wurde.
Der diesjährige Projekttag begann mit der Einheit "Ein ganz normaler Tag", in der mit Hilfe von antijüdischen Gesetzen die schrittweise Ausgrenzung der als Jüdinnen und Juden eingestuften Deutschen verdeutlicht wurde. Anschließend wurde die Geschichte einer/eines Überlebenden von der Kindheit bis ins Heute erzählt. Zum Schluss schauten die Schülerinnen und Schüler den Film "Briefe für die Heimatsucher" in dem Überlebende kommentieren, was es für sie bedeutet, die Briefe der Schülerinnen und Schüler zu erhalten. Somit wurden die Schülerinnen und Schüler zunächst zu Expertinnen und Experten und schließlich selbst zu Zweitzeuginnen und Zweitzeugen, so dass sie abschließend selbst Briefe an „ihre“ Zeitzeuginnen und Zeitzeugen schrieben.
An diesem Projekttag konnte man deutlich sehen, wie sinnvoll es ist, wenn unsere Schüler/innen auch emotional berührt werden, um sich sodann aktiv auf dieses schwierige Thema einlassen zu können. So war es ihnen möglich, ansatzweise nachzuvollziehen, dass die Geschichte der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen auch mittelbar mit ihrer Gegenwart zu tun haben kann.